Früher war es kaum bekannt, dass Suchmaschinen wie Google oder Online-Marketing-Angebote wie Facebook personalisierte Ergebnisse ausliefern, dass also jeder Nutzer sein spezifisches Ergebnis angezeigt bekommt. Inzwischen könnte sich aber der Trend gedreht haben: die Personalisierung wird überschätzt und den Internet-Angeboten wird mehr Spezifität unterstellt, als diese tatsächlich leisten können oder leisten wollen. Für die Suchmaschinen-Optimierung sollte dies bedeuten, dass man mit einer bewussten Personalisierungs-Strategie arbeitet, um den Fehleinschätzungen vorzubeugen.
Viele kennen das Problem: Sie suchen im Netz nach einer Kaffeemaschine und werden anschließend monatelang von Werbung überzogen, die Kaffeemaschinen verkaufen möchte. Das geht dann noch weiter, selbst wenn inzwischen schon längst eine ganz bestimmte Kaffemaschine gekauft wurde. Hat man zufällig diesen Kauf offline erledigt, dann ist man geneigt zu glauben, dass das Netz die eigene Kaufentscheidung nicht mitbekommen hat.
Hier wie auch sonst im Computerumgang besteht die Gefahr, dass man die Systeme für intelligenter hält, als sie tatsächlich sein können. Generell neigen Menschen dazu, scheinbar personalisierte Aussagen für bare Münze zu nehmen, selbst wenn dies total unwahrscheinlich ist. Immer noch gerne werden beispielsweise Horoskope gelesen, obwohl es eigentlich schwer vorstellbar ist, dass die entsprechenden Aussagen von meinen Sternzeichen für alle zutreffend sein sollten, die das gleiche Sternzeichen haben. Personalisierte Suchergebnisse und Social-Media-Streams sind die modernen Varianten des Sternzeichen-Glaubens.
Seit ein paar Jahren gibt es die Bubble-Filter- oder Filterblasen-Theorie, die behauptet, durch Suchmaschinen- und Internet-Nutzung werden die Nutzer mehr und mehr dazu gebracht, sich in eine Privatwelt zu begeben, die nicht mehr für neue und andere Sichtweisen offen ist. Würde dies stimmen, dann würde die Suchmaschinen-Optimierung langfristig überflüssig werden, denn man kann kaum für jeden einzelnen Nutzer und dessen individuelle geschlossene Weltsicht Optimierungsmaßnahmen umsetzen. Man muss also als SEO darauf setzen, dass im Großen und Ganzen sich dann doch Mainstream-Denken durchsetzt und dass die Personalisierung nur Randaspekte der Wahrnehmung beeinflussen kann.
Nun zeigt eine neuere Untersuchung von Tanya Kant zur Personalisierung, dass diese Sichtweise zwar berechtigt ist, dass aber viele Internet-Nutzer inzwischen daran glauben, dass die angezeigten Suchergebnisse oder der Stream bei einem Social-Media-Angebot personalisierter ist, als das tatsächlich unterstellt werden kann. Werden beispielsweise bei einer Suchanfrage oder in einem Social-Media-Projekt wie Facebook verstärkt Werbeangebote zum Abnehmen angezeigt, dann glauben viele leicht oder schwerer übergewichtige Personen, dass sie personalisiert auf ein Problem hingewiesen werden, obwohl doch tatsächlich die gleiche Werbung allen Personen einer bestimmten Altersgruppe angezeigt wurden. Tatsächlich war die Platzierung der Werbebotschaft personalisiert, insofern das Alter des Nutzers berücksichtigt wurde. Aber weder Google noch Facebook können gegenwärtig erkennen, ob ein Nutzer übergewichtig ist und wie relevant dieses Problem für ihn persönlich ist.
Doch bereits der Glaube an die Personalisierung verändert das Verhalten. Dies passt dann gut zur gegenwärtigen Diskussion über die Erfolge fremdenfeindlicher politischer Bewegungen. Es gilt das postfaktische Argument, dass nicht die Fakten relevant sind, sondern nur das, was man als Fakten für sich annimmt. Wer daran glaubt, dass eine Suchmaschine oder ein sozialer Netzwerk ihn auf sein Übergewicht anspricht, der wird möglicherweise motiviert sein, hier sein Verhalten zu ändern. Und wer daran glaubt, dass Zuwanderung aus dem Ausland für ihn ein Problem ist, der ändert sein Wahlverhalten, unabhängig davon, ob er überhaupt von Zuwanderung konkret erfahren hat bzw. die entsprechenden Medienberichte auf sich persönlich beziehen kann.
Für die Verantwortlichen des Online-Marketings und der Suchmaschinen-Optimierung ergibt sich aus dem Problem der Überbewertung der Personalisierung eine Zwickmühle: Sie müssen einerseits mit dem Trend leben und ihre Werbepolitik spezifischer auf die Zielgruppen zuschneiden. Sie müssen anderseits aber kommunizieren, dass die Personalisierung nicht so spezifisch ist, wie man es gegenwärtig den Suchmaschinen und Online-Angeboten unterstellen kann.